Wirtschaftsexperte Winfried Sobottka über Fiskalpolitik und Irland/ Angela Merkel, Wolfgang Schäuble, Gerhard Schröder, Proteste Großbritannien, Raubtierkapitalismus, womblog, Prof. Dennis Snower, Hans-Werner Sinn, Josef Ackermann
März 26, 2011 Hinterlasse einen Kommentar
Belljangler: „Wirtschaftsexperte Winfried Sobottka, in Großbritannien laufen derzeit Proteste: Die selbe Regierung, die soeben die Unternehmenssteuern gesenkt hat, hat nun ein knallhartes Sparprogramm für das Normalvolk beschlossen. Der damalige SPD-Kanzler Gerhard Schröder hat sich von der deutschen Wirtschaft sagen lassen, welche Steuersätze er durchsetzen soll. Wie schwierig ist es, vernünftige Steuersätze zu ermitteln?“
Winfried Sobottka: „So schwierig, dass die Pfeifen, die in der Welt regieren, das garantiert noch nie gemacht haben. Ich schätze grob, dass ich es gemeinsam mit 20 exzellenten Mathematikern und Informatikern in einem Jahr schaffen könnte, wenn wir Online-Direktzugriff auf alle Daten der Finanzbehörden, auf alle (sauber erarbeiteten!) öffentliche Budgets hätten, auf Lebenshaltungskosten in allen Regionen für alle denkbaren Modellhaushalte hätten usw.
Das heißt, dann könnten wir sagen, wie die Steuersätze im Rahmen aller berücksichtigten Tatsachen aussehen sollten und mit welcher Wahrscheinlichkeit wir die Steuersätze innerhalb eines bestimmten Intervalles richtig geschätzt hätten.
Das Verfahren wäre weitaus aufwändiger als die saloppe Methode, sich hinter verschlossenen Türen Steuersätze von Wirtschaftsführern diktieren zu lassen, wobei man sich absolut sicher sein kann, dass die Wirtschaftsführer zuvor nur eines ausgerechnet haben: Wieviel Steuern sie sparen wollen.“
Belljangler: „Was sind die Schwierigkeiten, denen eine Fiskalpolitik gerecht werden müsste?“
Winfried Sobottka: „In einer kapitalistischen Gesellschaft müsste die Fiskalpolitik soviel einbringen, dass die öffentlichen Aufgaben in zumindest befriedigender Weise erfüllt werden können, ohne von irgendwem als ungerecht empfunden werden zu können – nach gesunden Maßstäben.
Dabei sind die Unternehmenssteuern/Körperschaftssteuern vor den Hintergründen von internationaler Freizügigkeit ein Sonderproblem: Operiert ein Konzern in verschiedenen Ländern, dann kann er sehr leicht Gewinne von einem Land in ein anderes Land verschieben, eine einfache Möglichkeit dazu sind manipulierte interne Verrechnungspreise.
Das geht zum Beispiel so (wurde tatsächlich schon in dem Maße praktiziert!): Konzern X hat ein Werk A im Land A, ein Werk B im Land B. Was das Werk B an Schrauben braucht, kauft es vom Werk A, allerdings zum hundertfachen (!) Marktpreis. Damit wird der Gewinn des Werkes B natürlich geschmälert, der Gewinn des Werkes A natürlich aufgebauscht. Wenn das Werk B ständig Lieferungen vom Werk A erhält, die Auflistung aller Lieferscheinpositionen über ein Jahr praktisch kilometerlang ist, dann haben Steuerprüfer kaum eine Chance, solche Manipulationen aufzudecken, erst recht dann nicht, wenn die Preise nicht so deutlich überhöht sind. Dass man einem anderen Werk des selben Konzerns z.B. 10% mehr zahlt als einem Billigkonkurrenten, kann man zur Not auch noch begründen: Zuverlässigkeit, spezielles Produktionsverfahren usw. Damit sind Regierungen den international operierenden Konzernen einigermaßen ausgeliefert: Ihnen bleibt kaum etwas anderes, als sich hinsichtlich der Unternehmenssteuern im international üblichen Bereich zu bewegen, um in den Konzernen die Lust am Tricksen erst gar nicht aufkommen zu lassen.
Nun könnte man einigermaßen für Ordnung sorgen, wenn alle Länder sich auf einheitliche Unternehmenssteuern einigen würden, aber das scheitert an zwei Punkten: Erstens lassen sich alle Regierungen Unternehmenssteuern gern nach unten diktieren, weil das mit satten Korruptionsprämien „belohnt“ wird.
Zweitens ist eine Lage, in der überall die selben Unternehmenssteuersätze gelten, besonders verführerisch für jedes Land, die eigenen Unternehmenssteuersätze zu senken, um so Konzerngewinne „herein zu holen“ und so aufgrund der Steuersatzsenkung letztlich mehr an Unternehmenssteuern zu kassieren als vorher. Das jetzige System trägt also in doppelter Hinsicht die Tendenz in sich, die Unternehmenssteuersätze allmählich gegen null zu bewegen.“
Belljangler: „Was könnte man dem entgegensetzen?“
Winfried Sobottka: „Zölle auf alle Einfuhren aus Ländern, die einen bestimmten Unternehmenssteuersatz unterschreiten. Damit würde es nicht mehr lukrativ sein, von Ländern mit niedrigen Unternehmenssteuersätzen zu exportieren, damit entfiele die Konkurrenz um den niedrigsten Unternehmenssteuersatz.“
Belljangler: „Viele EU-Länder regen sich insofern über Irland auf, das sehr niedrige Unternehmenssteuersätze hat. Warum ziehen die anderen EU-Staaten nicht einfach nach?“
Winfried Sobottka: „Weil sie es sich nicht leisten können. Das kleine und arme Irland kann sich diese Steuersätze nur deshalb leisten, weil es vielen Großen auf diesem Wege Unternehmensgewinne abjagen kann. Würde Deutschland die Unternehmenssteuern so weit senken, dann würde es unter dem Strich weniger Unternehmenssteuern kassieren, weil es nicht hinreichend Unternehmensgewinnmasse von außerhalb hereinholen könnte, um die Reduzierung des Steuersatzes zu kompensieren.“
Belljangler: „Was werden die EU-Staaten tun?“
Winfried Sobottka: „Sie können schimpfen und versuchen, Irland irgendwie unter Druck zu setzen, während die Iren kaum ein Interesse daran haben dürften, auf diese Einnahmequelle zu verzichten.“
Liebe Grüße
Dipl.-Kfm. Winfried Sobottka, UNITED ANARCHISTS und Order of ?
TOP-WICHTIG:
http://www.die-volkszeitung.de/00-die-volkszeitung/2010/mai/artikel-4/artikel.html
http://www.die-volkszeitung.de/00-die-volkszeitung/2010/juni/artikel-8/artikel.html
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